Der Hafen Zeebrügge ist der zweitgrößte Hafen Belgiens. Er liegt verkehrsgünstig direkt an der Nordsee und nah an England, außerdem nicht weit von den westeuropäischen Wirtschaftszentren. Zeebrügge ist ein wichtiger Containerhafen, der sich auch für Schiffe mit Tiefgang eignet. Vor allem aber ist er weltweit einer der bedeutendsten Umschlagplätze für neu gefertigte Autos: Rund 2,2 Millionen Fahrzeuge werden in einem durchschnittlichen Jahr in Zeebrügge umgeschlagen.
Flexibles Handling der Neuwagen und sehr schneller Umschlag
Es ist 14.00 Uhr. In Zeebrügge wird ein Zug erwartet. Er kommt aus der Slowakei, direkt aus dem Automobilwerk von Jaguar Land Rover in Nitra. Dort wurden rund 200 neue SUVs der Typen Defender und Discovery auf den Zug verladen und auf ihren Weg nach Zeebrügge gebracht. Von hier geht die Reise nach Großbritannien, USA, Kanada, aber auch nach Australien und Ozeanien – so schnell es geht, die Käufer warten schon. Während der Zug einrollt, kommt auch ein Bus mit sieben Fahrerinnen und Fahrern an, die die Fahrzeuge je nach Bestimmungsort auf verschiedene Terminals verteilen.
„Das ist eine der Besonderheiten, die Zeebrügge für die Automobilindustrie bietet“, erklärt Jurgen de Smet, Head of commercial activities der Hafengesellschaft CLdN Ports Zeebrugge nv. CLdN Ports Zeebrugge nv, Teil der CLdN-Gruppe, ist eines der größten Verlade-Unternehmen im Hafen von Zeebrugge, das an drei Terminals tätig ist und sich auf den Umschlag von Ro-Ro-Schiffen, also Roll on – Roll off-Schiffe zum Transport rollender Güter, und auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen spezialisiert hat, einschließlich PDI (Pre Delivery Inspection), Zusatzleistungen und Fahrzeugmodifikationen.
„Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen die Fahrzeuge auf dem Hafengelände ohne Nummernschild und Zulassung fahren. Das erlaubt uns ein flexibles Handling der Neuwagen und einen sehr schnellen Umschlag.“ Die Verschiffung von Neufahrzeugen und Fahrzeugteilen ist einer von mehreren Leistungsschwerpunkten des Hafens. Darüber hinaus bietet sich Zeebrügge für Hochseefrachtschiffe an und hat ein großes LNG-Terminal für Flüssigerdgas. Diese Diversität macht unempfindlicher gegen Krisen. 50 Millionen Tonnen werden hier jedes Jahr verschifft und insgesamt 10.000 Menschen beschäftigt.
Zeebrügge und Antwerpen
Wertvolle Fracht sorgfältig transportiert
Nitra in der Slowakei. Hier steht eine hochmoderne Produktionsanlage des britischen Automobilherstellers Jaguar Land Rover (JLR): 300.000 Quadratmeter groß mit einer jährlichen Produktionskapazität von 150.000 Fahrzeugen. Gebaut werden hier die Land Rover Modelle Defender und Discovery – und viele davon werden den Weg zu ihren neuen Besitzern über Zeebrügge nehmen. „Der Hafen ist ideal für uns. Er hat ausreichend Flächen, um Fahrzeuge zu parken und alle Qualitätszertifikate, die wir brauchen“, erklärt Leigh Rainsley, Purchasing Manager bei JLR. „Und er hat eine hervorragende Schieneninfrastruktur.“ Das ist wichtig, denn Defender und Discovery fahren Zug – von Nitra nach Zeebrügge mit DB Cargo Logistics. Das schont die wertvolle Fracht, ist umweltfreundlich, schnell und effizient. „Jede Woche fahren wir vom JLR Werk in Nitra aus, mehrere Züge nach Zeebrügge“, erklärt Sarah Fiore, Account Managerin bei DB Cargo Logistics. „Jeder einzelne transportiert mehr als 200 Pkw. Und die Mengen sind sogar noch ausbaufähig – wenn die weltweiten Lieferketten mitspielen.“
Auto zu groß oder Wagen zu klein?
Dass so große SUV wie der neue Land Rover Defender mit der Bahn transportiert werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn so große und schwere SUVs bergen auch auf der Schiene einige grundsätzliche Herausforderungen. 3,3 Tonnen wiegt das größte Defender Modell. Gewöhnliche Pkw-Transportwagen der Bahn sind mit dieser SUV-Klasse überfordert: „Zwei Defender passten einfach nicht übereinander in den Wagen, das war eine wirklich große Herausforderung“, erklären Leigh Rainsley und Sarah Fiore den Anfang der Zusammenarbeit zwischen JLR und DB Cargo Logistics. Vor dem eigentlichen Ziel, dem Transport der Neuwagen in den Seehafen, stand also eine technische Kooperation: Aufgabe war es, einen neuen Wagentyp zu entwickeln. Einen, der unter jeder Brücke hindurch und an jedem Engpass vorbei passt, der nicht zu schwer, aber groß genug und gleichzeitig solide ist. Der alle Vorgaben erfüllt und die teils strengen Restriktionen auf den Schienenstrecken erfüllt. Und der eben trotzdem Raum und Sicherheit für zwei große Defender übereinander bietet. „Ein hartes Stück Ingenieurleistung“, betont Leigh Rainsley. „Für mich ist dies das beste Beispiel der erfolgreichen Zusammenarbeit mit DB Cargo Logistics – und es war der Anfang einer langfristig erfolgreichen Zusammenarbeit.“ Denn parallel konnte DB Cargo Logistics beim Bau des neuen Werks in Nitra mit einem Konzept für die optimale Erschließung des Werksgeländes mit eigenem Gleisanschluss und Schienensystem unterstützen. „Das war ein weiterer Baustein für eine langfristige Beziehung ”, bewertet der erfahrene Purchasing Manager.
Zeebrügge in time
Die Bahn liegt als Transportmittel im Trend.
Das ist nicht nur bei JRL so, sondern auch im Hafen Zeebrügge zu spüren. Immer mehr Logistiker setzen auf effiziente und umweltfreundliche Transporte, um die Klimaziele zu erreichen und Staus zu vermeiden“, freut sich Jurgen de Smet. DB Cargo Logistics fährt inzwischen regelmäßig die Strecke von Nitra nach Zeebrügge für JLR. Die Zusammenarbeit wird also im gemeinsamen Tagesgeschäft immer weiter auf die Probe gestellt. Einfach ist es derzeit nicht: Krisen wie Corona, Teilemangel, Extremwetterlagen, politische Veränderungen, wie der Brexit und geopolitische Probleme wie der Krieg in der Ukraine, fordern der Logistikbranche ein Höchstmaß an Flexibilität ab. Hinzu kommt der umfassende Ausbau des Schienennetzes in ganz Europa. Die klimafreundlichen Transportmöglichkeiten der Zukunft sorgen für viele Baustellen im Schienennetz der Gegenwart. Solche Rahmenbedingungen sind auch für Sarah Fiore und ihre Kolleginnen und Kollegen herausfordernd. „Gute Gründe, sich noch stärker auf den Kunden einzustellen“, sagt sie. „Um noch vorausschauender zu planen und so viele Hindernisse wie möglich aus dem Weg zu räumen. Zeebrügge in time – das bleibt das klare Ziel.“
Lesen Sie mehr zur Historie von Zeebrügge
Seinen Namen verdankt der Seehafen der rund 12 Kilometer im Hinterland liegenden westflandrischen Handelsstadt Brügge, die über einen Kanal mit dem Hafen Zeebrügge verbunden ist. Ursprünglich war durch eine Sturmflut im 12. Jahrhundert ein direkter Seezugang bis hin nach Brügge entstanden, der die Stadt über mehrere Jahrhunderte zu einer lebhaften Handelsmetropole machte. Der Seezugang versandete allerdings wieder und im 16. Jahrhundert war Brügge eine eher unbedeutende Stadt. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ein Hafen direkt an der Küste gebaut, der Handel und Industrie in der dicht besiedelten Region wieder Auftrieb gab.