Die Prognosen sind eindeutig: Der Kombinierte Verkehr – insbesondere im Bereich Schiene und Straße – wird in den kommenden Jahren massives Wachstum erfahren. Denn: Dank Umschlagterminals erhalten immer mehr Kunden Zugang zur Schiene und können so ihre Güter umwelt- und klimafreundlich von A nach B transportieren.
Dabei stellt sich allerdings eine wichtige Frage: Wie lässt sich der Umschlag künftig effizienter und flexibler gestalten? Gerade mit Blick auf die Weiterentwicklung hin zum Terminal 4.0 – das vollautomatisch funktioniert – und die immer knapper werdende, unerlässliche Ressource Lkw-Fahrer? Exakt hier setzt das Versuchsprojekt „Autonome Innovation im Terminalablauf“, kurz ANITA, an, das als wichtiger Baustein auf dem Weg zur Automatisierung des gesamten Transportprozesses dient.
4 Projektpartner, 5,5 Millionen Euro Fördersumme & 39 Monate Zeit
Aber von Anfang an: ANITA umfasst die Entwicklung eines vollautomatisierten Lkw, der auf einer kurzen Strecke zwischen dem Container-Depot von DB Intermodal Services und dem DUSS-Terminal (Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße mbH) in Ulm automatisierte Transporte übernehmen soll.
Für die Umsetzung des Projekts haben sich vier Unternehmen zusammengetan: MAN Truck & Bus, DB Cargo, die Hochschule Fresenius und die Götting KG. Seit Juli 2020 arbeiten die Partner in dem auf 39 Monate angelegten und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit 5,5 Millionen Euro geförderten Pilotprojekt daran, den Umschlag zwischen den Verkehrsträgern und die Umfuhr zwischen Terminal und Container-Depot in Ulm zu automatisieren.
Zeit also, für eine Halbzeitprognose. Michael Heinemann, Geschäftsführer bei DB Intermodal Services GmbH, berichtet über den Ablauf, den aktuellen Projektstand sowie Ziele von ANITA.
Herr Heinemann, was unterscheidet ANITA von bisherigen autonomen Forschungsprojekten im Terminalablauf mit Lkws?
Michael Heinemann_ In den letzten Jahren gab es diverse Versuchsprojekte zum autonomen Fahren von Lkws. Allerdings fanden diese immer auf einem geschlossenen Gelände statt. Das ist bei ANITA anders. Wir bewegen uns mit dem von MAN entwickelten Lkw erstmals von einem Gelände zum anderen – dazwischen liegt eine knapp einen Kilometer kurze, öffentliche Strecke mit realem Verkehr und komplexen Einflüssen. Beispielsweise befindet sich auf der Strecke ein Kreisverkehr – eine echte Herausforderung für unser Forschungs- und Entwicklungsteam. Schließlich muss der vollautomatisierte und autonome Lkw jede Verkehrssituation präzise erkennen und entsprechend reagieren, auch wenn ein Auto kurzfristig in den Kreisverkehr einfährt.
Die Hälfte der für das Forschungsprojekt angesetzte Zeit ist vorbei – wo steht das Projekt aktuell?
MH_ Alles läuft planmäßig. Wir haben die erste Phase des Projekts abgeschlossen. Dabei wurde von den Wissenschaftlern zunächst die Infrastruktur vor Ort mit all ihren Schnittstellen erfasst, damit Lkw und Umschlaggeräte künftig miteinander kommunizieren können. Dafür wurden Menschen und Maschine entlang der Prozesse und Abläufe beobachtet und beschrieben. Ein sehr komplexes Unterfangen. Dazu gehören zum Beispiel etablierte Verhaltensweisen von Lkw-Fahrer:innen und Kranführer:innen, wie ein Zunicken, wenn der Container verladebereit ist oder andere menschliche Entscheidungen. All diese Regeln müssen nun dem Algorithmus des Lkws beigebracht werden, damit wie geplant bis spätestens Anfang 2023 die ersten Fahrten mit dem autonomen Lkw starten können.
Wie laufen die Probefahrten dann ab?
MH_ Diese finden zunächst in Begleitung eines Entwicklers statt, der dabei stets die Hände am Lenkrad hat und jederzeit in den Prozess eingreifen kann. In den nächsten Entwicklungsstufen ist der Fahrer dann nur noch in überwachender Funktion im Lkw dabei – mit dem Ziel, dass der Lkw in der letzten Entwicklungsstufe komplett autonom fährt, also ohne eine im Fahrzeug anwesende Überwachungsperson.
Für ANITA arbeiten Projektteams von MAN Truck & Bus, DB Cargo, der Hochschule Fresenius sowie der Götting KG zusammen – wie bringt hier jeder seine Stärken ein?
MH_ Die Kolleg:innen, die sich um die Prozessaufnahmen kümmern, verfügen über ein sehr umfangreiches theoretisches Wissen und wir von DB Intermodal Services über das praktische Know-how. Sprich, wir alle haben andere Blickwinkel, die wir in das Projekt einbringen und dieses so Schritt für Schritt voranbringen können. Und: Wir haben einen sehr intensiven und ergebnisorientierten Austausch – beste Voraussetzungen also.
Welche Vorteile bringt die Entwicklung des autonomen Lkws im Projekt ANITA konkret für den Standort Ulm und darüber hinaus mit sich?
MH_ Das sind gleich mehrere: Zum einen ist die Strecke zwischen Terminal und Container-Depot ein echtes Nadelöhr. Unsere Umschlagfahrzeuge reihen sich oft in die lange Schlange mit anderen Lkws ein. Das bindet Fahrerkapazitäten – was uns direkt zum nächsten Punkt bringt: den Fahrermangel. Der Markt verliert im Schnitt pro Jahr 15.000 Fahrer in Deutschland. Heißt, wir müssen die knappe Ressource Lkw-Fahrer noch sinnvoller und effizienter einsetzen. Deshalb ist es wichtig, Innovationen und Forschungsprojekte wie ANITA voranzutreiben. Diese verhelfen uns schließlich dazu, künftig auf sehr gleich laufenden und gut steuerbaren Distanzen Fahrerkapazitäten einzusparen – und diese stattdessen auf anderen, weiteren Distanzen, die bislang nicht autonom befahrbar sind, einzusetzen. Zudem wäre eine viel gleichmäßigere Auslastung von Terminal und Depot möglich, da die Container-Fahrten 24/7 und damit auch außerhalb der Stoßzeiten unterwegs sein könnten. Alleine am Standort Ulm sprechen wir hier von ca. 20.000 Umfuhren pro Jahr.
Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass viele Unternehmen verstärkt auf den Kombinierten Verkehr setzen, um ihre Güter im Hauptlauf von der Straße auf die klimafreundliche Schiene zu bringen. Mit einem autonomen Lkw, der elektrisch unterwegs ist, können wir in Ulm auch die Umfuhr CO2-frei gestalten. Bislang fahren vier Diesel-Lkws bis zu 70-mal am Tag Container zwischen dem DUSS-Terminal und unserem Container-Depot hin und her – ein immenses Einsparungspotenzial.
Einen Schritt weiter gedacht: Was bedeuten die Ergebnisse aus ANITA für die Zukunft, welche Weichen stellt das Projekt?
MH_ Unsere Erfahrungswerte können perspektivisch auf andere Terminals, Häfen und Industrieanlagen übertragen werden, auf denen künftig autonome Fahrzeuge eingesetzt werden sollen. Insofern ergibt sich aus diesem Projekt ein enormes Potential.
Erfahren Sie noch mehr über das ANITA Projekt
Projektpartner: | MAN Truck & Bus, DB Cargo, die Hochschule Fresenius sowie die Götting KG |
Projektträger: | TÜV Rheinland |
Gefördert von: | Bundesministerium für Wirtschaft und Energie |
Fördersumme: | 5,5 Millionen Euro aus dem Programm „Neue Fahrzeug- und Systemtechnologien“ |
Projektsumme: | 13 Millionen Euro |
Start des Projekts: | 1. Juli 2020 |
Laufzeit: | 39 Monate |
Zur Projektseite: Projekt ANITA